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»Solange uns die Menschlichkeit miteinander verbindet, ist egal, was uns trennt.«

Ernst Ferstl (aus: http://zitate.net/zitat_4603.html)


Wie können Menschen, die nach Deutschland einwanderten und mittlerweile 55 Jahre und älter sind, aktiv am Stadtteil-Leben teilnehmen? Diese Frage bildet den Ausgangspunkt des Projekts »Ältere MigrantInnen im Stadtteil-Leben«, das im Rahmen des Bund-Länder-Programms »Soziale Stadt« in Rüsselsheim durchgeführt wurde.

Zum Abschluss des Projekts interviewte die Buschtrommel, Stadtteilzeitung für den Rüsselsheimer Stadtteil »Dicker Busch«, die Projektleitenden Ayten Ayboga und Mathias Fuchs:

BUSCHTROMMEL: Was war der schönste Moment in eurer Projektarbeit?

AYBOGA: Ich fand es am schönsten, wenn wir die Senioren dabei begleiteten, Veranstaltungen im Stadtteil durchzuführen. Wenn dann die Veranstaltung stattfand und die Leute kamen, fand ich es am schönsten.

FUCHS: Ich fand es schön zu sehen, wie die Leute an Selbstvertrauen gewannen, wenn ihre Idee bei uns auf Interesse stieß. War bei den Leuten die Erkenntnis da, dass wir uns für sie interessieren und sie die Regeln vorgeben dürfen, waren die Senioren plötzlich total agil.

BUSCHTROMMEL: Wie habt Ihr Kontakt zu den Senioren bekommen, die oftmals im Zuge der Gastarbeiteranwerbung nach Deutschland kamen?

AYBOGA: Ich bin im Dicken Busch groß geworden. Ich konnte direkt die Freunde meiner Eltern ansprechen. Mit der Zeit hatte sich auch unser Projekt rumgesprochen und zum Teil kamen die Leute auf uns zu.

FUCHS: Gerade zu Beginn haben wir verschiedene Dinge ausprobiert: Wir haben die Leute im Einkaufszentrum angesprochen. Dabei konnten wir jedoch keine Kontakte knüpfen, die über den Moment hinausreichten. Am besten funktionierte es, wenn wir die Orte aufsuchten, an denen sich Senioren treffen – beispielsweise die Teestube in der Ayasofya-Moschee oder eine Gruppe von Schachspielern hinter dem Freizeithaus. Wir gingen immer wieder hin, sprachen mit den Leuten über ganz verschiedene Sachen, bis man sich schließlich kannte.

BUSCHTROMMEL: Wie kann man die Senioren mit Migrationserfahrung charakterisieren?

AYBOGA: Viele sind offen, besonders dann, wenn man ihre Muttersprache spricht. Oft kommt es vor, dass im Einkaufszentrum eine kleine Gruppe steht und sich Neuigkeiten austauscht. Aber ganz wichtig für viele von ihnen ist das Pendeln in die erste Heimat. Nicht selten kommt es vor, dass diejenigen von ihnen, die gesundheitlich und finanziell dazu in der Lage sind, im Sommer für mehrere Monate einfach verschwinden. Sie besuchen Freunde und Verwandte und genießen es, keine beruflichen Verpflichtungen mehr zu haben.

FUCHS: Für mich war es so, dass ich mit dem Projekt lernte, die Unterschiede zwischen den einzelnen Menschen wahrzunehmen. Ayten sagte schon, dass es einige Gemeinsamkeiten zwischen den Senioren gibt, doch wie sie darüber sprechen, was für sie wichtig ist und was sie denken, ist so unterschiedlich. Worin sich fast alle gleichen ist, dass sie unheimlich viel zu erzählen haben, wenn man sie etwas fragt.

BUSCHTROMMEL: Auffällig ist, dass viele nicht so gut deutsch sprechen. Wie kann ich sie da etwas fragen?

FUCHS: Ja das stimmt. Besonders ältere Damen, die keine berufliche Tätigkeit hatten, sprechen wenig Deutsch. Aber selbst dann kann man mit genügend Geduld und Offenheit mehr von ihnen erfahren, als man zunächst denkt. Oft habe ich es auch erlebt, dass ein Senior oder eine Seniorin ganz wenig sagt, weil er oder sie denkt, zu wenig Deutsch zu sprechen. Aber wenn ich dann sagte, dass wir uns doch wunderbar unterhalten, fassten sie Mut. Man muss auch nicht unbedingt die ganze Zeit reden. Eine längere Pause zwischendurch, in der man sich anlächelt, macht gar nichts!

BUSCHTROMMEL: Wurde das Projektziel erreicht?

AYBOGA: Ja, die Senioren haben seniorenspezifische Angebote kennen gelernt und nutzen sie nun. Zudem haben sie Veranstaltungen gemacht, beispielsweise „Börek backen mit Frau Bambek“ oder sie nähten Sitzkissen für den Saal im Nachbarschaftszentrum. Es gründeten sich Gruppen, die sich regelmäßig treffen und gemeinsam lesen oder Ausflüge machen. Das alles geschieht mit viel Freude.

FUCHS: Ja, auch ich denke, dass wir die Leute aktivieren konnten – zumindest die, zu denen wir Kontakte aufbauen konnten. Auch konnten wir Rüsselsheimer Institutionen für das Thema „ältere Menschen mit Migrationserfahrung“ sensibilisieren und ihnen von unseren Erfahrungen berichten.

BUSCHTROMMEL: Wo sind die Senioren mit Migrationserfahrung aktiv?

FUCHS: Es gibt viele Orte, an denen sich die Menschen treffen. Cafés, Moscheen, christliche Gemeinden oder einfach eine bestimmte Bank im Einkaufszentrum. Sie tauschen Neuigkeiten aus oder helfen sich gegenseitig mit nachbarschaftlichen Diensten.

AYBOGA: Besonders alleinstehende ältere Damen haben den Wunsch, sich regelmäßig zu treffen. Wichtig dabei ist – wie für alle Gruppen – dass Räume zur Verfügung stehen, in denen so etwas stattfinden kann. Deshalb finde ich das Angebot des Stadtteilvereins toll, den Saal im Nachbarschaftszentrum für so etwas zur Verfügung zu stellen.

BUSCHTROMMEL: Was wünscht Ihr Euch für die Zukunft der Senioren mit Migrationserfahrung?

AYBOGA: Ich wünsche mir, dass die muttersprachlichen Treffen, die sich im Rahmen unseres Projekts gründeten, auch in Zukunft weiter bestehen. Dazu ist in erster Linie das Engagement der Senioren nötig, aber auch eine Unterstützung seitens des Stadtteilvereins oder des Hauses der Senioren. Außerdem wünsche ich mir, dass die Seniorenangebote kultursensibel werden und sie die Interessen und Bedürfnisse der älteren Menschen mit Migrationserfahrung aufgreifen.

FUCHS: Ich wünsche mir in erster Linie mehr Anerkennung der Senioren durch die Gesellschaft. Mir begegnete oft der Satz: „Die sollen erst mal Deutsch lernen!“ Ok, das ist häufig ein Defizit, dieses aber den Menschen vorzuwerfen und sie erziehen zu wollen, ist überzogen. Die Senioren wissen um ihre Defizite in der deutschen Sprache und möchten sich darin verbessern, aber wie mühsam und in welch kleinen Schritten so etwas im Rentenalter voran geht, ist nachvollziehbar.

BUSCHRTOMMEL: Vielen Dank für das Gespräch!



Der Abschlussbericht des Projekts ist als Download verfügbar:
http://www.mathiasfux.net/abschlussbericht.pdf


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